Hometown

Schon lange vorher kündigt meine Gastmutter an, dass wir in ihre „Hometown“ fahren, also ihre Heimatstadt. Ich bin mir nicht sicher, was genau wir da machen, und bin umso mehr gespannt auf den Ausflug. Wir fahren zusammen mit meiner Gastschwester Miyo los in Richtung Noto, die Halbinsel im Norden von Kanazawa. Der Himmel ist leider überwiegend bewölkt, aber es ist warm und regnet nicht.

Könnte auch Norddeutschland sein

Die erste Station ist ein Strand mit Driveway. Ich freue mich, das erste Mal hier das Meer zu sehen. Der Strand ist mit dem Auto befahrbar, daher sieht man hier auch statt Strandkörbe nur Autos. Auf den Wunsch einer einzelnen Dame fahren wir dann auch den Strand-Driveway zur nächsten Autobahnauffahrt, es macht ungehörig Spaß.

Strand

Als nächstes fahren wir zu der Tempelanlage Myojoji, die bereits im Jahr 1294 gegründet wurde. Der Tempel selbst wurde 1618 gebaut und ist ungewöhnlich hoch mit seinem fünfstöckigen Pagodendach. Besonders beeindruckend ist die Konstruktion der Dächer, die nur zur Verzahnung von Holzelementen ohne Nägel auskommt.

Myojoji Tempel

Unser nächster Stop ist ein kleines, unscheinbares Restaurant, was für seine Kaisen-don (Schale mit Sashimi und Reis) berühmt ist. Obwohl wir für meine Begriffe völlig in der Einöde sind, müssen wir aufgrund des Andrangs kurz auf einen Platz warten. Das Sashimi ist hervorragend, auch wenn ich mir nicht sicher bin, welche Fisch- und Muschelarten ich gerade alle verspeist habe.

Kaisen don

Gleich in der Nähe befindet sich die einst längste Bank der Welt. Wer hätte gedacht, dass die ausgerechnet hier steht?

Ehemals längste Bank der Welt

Die rauen Felsen an der Küste sehen schon von der Straße aus toll aus. Zu meiner großen Freude fahren wir an einer Abfahrt raus und gehen zu Fuß Richtung Felsküste. Hier gibt es ein kleines Boot, welches die Felsformationen entlang fährt. Wir besteigen das Boot und schon geht’s los. Vom Wasser aus sehen die Felsen noch beeindruckender aus, zumal die Tore und Höhlen im Gestein erst von hier richtig zu sehen sind.

Bootstour

Zum Ende der Reise fahren wir noch zum Bruder meiner Gastmutter und seiner Familie. Wir setzen uns kurz hin und trinken kalten Tee, dann tauschen die beiden sich aus. Ich verstehe nun gar nichts mehr, da hier wieder ein anderer Dialekt gesprochen wird. Bevor wir uns wieder verabschieden, überrascht uns der Bruder meiner Gastmutter mit einem ganzen Eimer selbstgesammelter Meeresschnecken. Die Gehäuse der Schnecken sind grau-braun, ziemlich groß und sehen mit ihren Stacheln wenig ansprechend aus. Ich höre die anderen etwas von Abendessen sagen.

Meine Befürchtung bestätigt sich. Aber gut, ich wollte Abenteuer, und hier ist es. Die Schnecken bereitet meine Gastmutter als Sashimi (roh aufgeschnitten) und parallel mein Gastvater in der Schale mit einer Misopaste über dem Feuer gebraten zu (sazae no tsuboyaki). Ich beobachte die ungewöhnliche Zubereitung mit gemischten Gefühlen.

Sazae no tsuboyaki

Beim Abendessen probiere ich zuerst das Sashimi der sazae, wie diese Meeresschneckenart heißt. Der Geschmack ist weniger das Problem als die knorpelige Konsistenz. Dann will ich mich an die ganzen Schnecken wagen, wobei meine Gastmutter eingreift und mir die Muschel in der Küche schnell vorbereitet. Nachdem sie den Deckel der Schnecken gelöst hat, zieht sie das Fleisch aus der Schale. Der lange schwarze, sandige Schwanz, der nun zutage kommt, verschlägt mir kurzzeitig Atem und Appetit.

Als ich dann die Schnecken angerichtet und verzehrfertig in Stückchen geschnitten erhalte, fällt es mir leichter. Auch hier ist die Konsistenz merkwürdig, mit der Misopaste und Wasabi schmecken die Dinger trotz der Bitternote aber eigentlich ganz in Ordnung. Ich wende mich danach trotzdem wieder dem „normalen“ Fisch-Sashimi zu, was wie immer sehr gut ist. Erschöpft und dankbar für diesen tollen Tag gehe ich zu Bett.

Abendessen

4 Kommentare

  1. Veröffentlicht von françoise am 6. Oktober 2017 um 18:03

    Chère Katharina,
    Quel plaisir de te suivre dans ces dédales nippons par les images pour moi car le texte ….
    mais c’est une joie de deviner que tu sembles heureuse de toutes ces découvertes…et des instants culinaires si colorés et appétissants.
    Et cela semble être l’été pour toi ou en tous cas douce température.
    Tu dois savoir que Estelle a eu son bébé : Ava le 20 septembre.
    Je t’embrasse très fort et te souhaite encore de belles découvertes.
    Françoise

  2. Veröffentlicht von Tobi am 7. Oktober 2017 um 21:25

    Oh (bedeutungsschwere Pause) my (noch eine bedeutungsschwere Pause) gosh! Das ist das typische amerikanische „Oh mein Gott“. Das Essen wär nicht meins. Aber das weißt du sowieso. Das gute ist: dank deiner sehr detaillierten, farbenfroh lebendigen Beschreibung muss ich das wohl gar nicht mehr probieren. In meinem Kopf kämpfe ich gerade mit der knorpeligen Konsistenz, der leichten Bitternote und dem Sand zwischen den Zähnen. Krasses Abenteuer.
    Hab ich schon erwähnt, dass ich kürzlich das erste Mal Kaviar probiert habe? Kleine widerspenstige Kügelchen, relativ schwer zu zerbeißen, geschmacklich eher eintönig leicht säuerlich. Wie gesagt, hab viel zu erzählen! Viele Grüße nach Japan! Bis bald!

  3. Veröffentlicht von Carola am 8. Oktober 2017 um 17:56

    lauter Mysterien, die Du uns hier offenbarst!
    Und ist diese eine große recht wild wirkende steinerne Person die japanische Ausgabe von Neptun?
    Der Wahnsinn, bei Knorpel vergeht einem der Appetid, zum Glück gab es für Dir ja noch anderes 🙂

    Liebe Grüße

  4. Veröffentlicht von Monika am 10. Oktober 2017 um 10:23

    Minions an der Küste!!!
    Und Mollusken überall, auch am Tisch!!
    Halt die Stellung und mach weiter so wunderbare Bilder und Berichte!
    Liebe Grüße aus Salzburg 😉

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